Ahnenforschung

In der Serie Ahnenforschung entstehen drei Frauenfiguren, die sich zunächst wie biografische Eckpfeiler einer Familiengeschichte zeigen, zugleich aber die Logik genealogischer Erzählungen unterlaufen. Die Bilder besitzen dokumentarische Glaubwürdigkeit, während die Texte eine fiktive Welt entwerfen, in der historische Gewalt teilweise ausgelöscht, teilweise verschoben und teilweise ersetzt wird. Entscheidend ist, dass die Serie keine heile Welt konstruiert. Sie schreibt vielmehr alternative Verletzungen ein – Verletzungen, die existenzielle Brüche setzen. In den Biografien der beiden Mütter verschwindet zwar die historische Katastrophe des 20. Jahrhunderts, nicht jedoch die Gewalt selbst.

Esther verliert ihre große Liebe in den Wirren einer ganz anders gedachten politischen Lage. Judith wird durch ein Attentat traumatisiert, ihre intellektuelle Arbeit zerstört, ihre persönliche Zukunft gebrochen. Beide Frauen sind zwar der konkreten historischen Gewalt der nationalsozialistischen Vernichtung entzogen, doch ihre Lebensläufe bleiben von Verlust und Zerstörung gezeichnet. Die Serie entwirft also keine Utopie im klassischen Sinn, sondern eine Verschiebung des Unheils: Der Ort des Traumas verändert sich, es verschwindet aber nicht. Darin liegt die Doppelbindungsstruktur dieser Arbeiten. Die Namen – jüdische Vornamen kombiniert mit überzeichnet arischen Nachnamen – markieren eine Welt, in der die Ideologie der realen Geschichte machtlos geblieben ist. Doch auch diese neue Welt bleibt nicht unversehrt, sondern anders verwundet. Die genealogische Utopie ist brüchig, nicht heil.

Vor diesem Hintergrund wirkt die dritte Figur, die „Großmutter“ Stine Gorlitzka, fast wie ein Bruch oder ein späterer Paradigmenwechsel. Ihre Biografie enthält unerwartet keinen tragischen Kern. Sie ist weder Opfer politischer Systeme noch Ziel äußerer Gewalt; sie wird nicht verfolgt, nicht verlassen, nicht verraten. Sie trägt keine erfundene oder verschobene Wunde. Ihre Geschichte ist voller Vitalität: ein physikalischer Durchbruch, eine fast heitere Absurdität wissenschaftlicher Entdeckungen, eine Lebensführung, die sich in der Wüste sexuell entfalten darf – ungebrochen, überbordend, beinahe komisch üppig. Diese Figur wird nicht traumatisiert, sondern entgrenzt. Sie wirkt wie die trotzig fröhliche Gegenfigur zu den beiden verwundeten Müttern. Ihr Leben besitzt einen utopischen Überschuss, der sich jeder historischen Logik entzieht. Ihre Welt ist keine, in der Gewalt transformiert wurde, sondern eine, in der sie kaum existiert. Es ist, als würde die Serie hier einen anderen Aggregatzustand des Erzählens erreichen: weg von der Rekonstruktion alternativer Tragödien hin zu einer formalen Freiheit, die es erlaubt, das Leiden nicht neu einzusetzen.

In dieser Verschiebung zeigt sich die Tiefenstruktur der Serie. Ahnenforschung ist kein konsistentes genealogisches System, sondern ein Spiel mit den Modi von Herkunft: traumaersetzend, traumaüberschreibend, traumaauflösend. Die beiden Mütter tragen erfundene, aber plausibel gedachte Verluste; die Großmutter dagegen ist ein Modell maximaler Freiheit, ja Überfreiheit. Zwischen diesen Polen entsteht ein Spannungsfeld, das weniger über Familie spricht als über Erzählbarkeit: Was darf Herkunft sein? Was kann ersetzt werden? Was kann erfunden werden? Was sollte offen bleiben? Die Serie beantwortet diese Fragen nicht. Sie stellt sie, indem sie Formen genealogischen Denkens testet, verbiegt, erweitert und leicht parodistisch überzieht.

Gerade in der Differenz der drei Figuren entsteht der melancholische, zugleich humorvolle Ton, der die Serie trägt. Ahnenforschung ist keine historische Rekonstruktion und keine freie Fiktion, sondern eine Untersuchung darüber, wie Identität entstehen kann, wenn Geschichte nicht als Last, sondern als Material verstanden wird. Die Gewalt verschwindet nicht – sie wandert. Und in dieser Bewegung liegt die poetische und theoretische Qualität der Arbeit.